Hedy

Wer schreibt hier?

Und wer ist eigentlich Hedy?

Wer schreibt hier?



Mein Name ist Anja Wylezol. Bücher und Musik begleiten mich schon mein ganzes Leben lang und irgendwie habe ich es fertig gebracht, beides in mein Erwachsenenleben zu integrieren.

 

Zum einen bin ich Buchhändlerin geworden und arbeite nun schon eine halbe Ewigkeit im besten aller Buchläden www.freiheitsplatz.de.

Damit bin ich schon aus beruflichen Gründen viel mit Literatur und allem, was damit zusammenhängt, befasst.





Zum anderen bin ich Musikerin. Ich bin Gründungsmitglied zweier Bands. Das ist zum einen Krabat, ein langjähriges Progressive-Rock-Projekt und seit nicht mal zwei Jahren auch noch der Akustik-Folk-Rock-Ableger mit dem Namen At Sing-Three-Birds. (Flann O'Brien Fans, aufgemerkt!) Ich singe und spiele Gitarre, akustische wie elektrische, bediene manchmal das Mellotron und schreibe hin und wieder den ein oder anderen Song. Natürlich höre ich außerdem viel Musik.


Beides sind, neben Sohn (ausgesprochen musikafin), Mann (Musiker in der gleichen Band) und Garten (Vogelgezwitscher), meine großen Leidenschaften.


Manchmal scheint es aber nicht zu reichen, eine Platte nur zu hören oder ein Buch nur zu lesen. Kaum aufgetaucht aus der imaginierten Welt, sucht man hektisch nach Verbündeten.


Darum lasse ich mich manchmal hinreißen, einen Kommentar zu verfassen, eine Liebeserklärung, einen schwärmerischen Anfall von Begeisterung zu Papier zu bringen. Vielleicht geht es dem ein oder anderen ja so ähnlich. Dann könnte man sich zusammen tun und gemeinsam schwärmen oder sich in etwas verlieben. (Siehe dazu "Sich verlieben hilft" von David Wagner.)

 

Um ein wenig Ordnung in meine wilden Notizen zu bringen, nutze ich jetzt diesen Blog und bin selber gespannt, wohin der mich führen wird.


Und wer ist eigentlich Hedy?

Hedy Kempny ist eine junge Frau aus Wien, die Anfang der 20er Jahre ihrem Idol Arthur Schnitzler ganz unerschrocken eine Postkarte schreibt, in der sie ihn um ein Treffen bittet. Dieser, vielleicht ein kleines bisschen erschrocken, aber bestimmt auch geschmeichelt, schreibt ihr zurück und erklärt sich mit einem Treffen einverstanden.

 

Damit beginnt eine langjährige Freundschaft, die bis zum Tod des Dichters anhalten soll. Dokumentiert ist das alles, Briefe, Postkarten und Tagebucheinträge, in dem wunderbaren Buch „Das Mädchen mit den dreizehn Seelen“, das 1984 in der damals gängigen Reihe „Neue Frau“ bei Rowohlt erschienen ist. Soviel zu den sachdienlichen Informationen.

 

Als mir dieses Buch Anfang der 90er Jahre zuläuft, bin ich eine junge Studentin. Ich lese gerne, schreibe genauso gerne Tagebuch und bin sofort fasziniert von dieser Stimme aus der Vergangenheit, eine junge, selbstbewusste Frau, die einfach das tut, was sie sich sehnlich wünscht.

 

Ihre Ansichten scheinen den meinen so ähnlich zu sein, ihre schwärmerische Art, die alles durchziehende Melancholie und die stetige Frage, wohin das Leben sie wohl führen wird, treffen mich zu einer Zeit, da mich ähnliche Dinge umtreiben. Sie schreibt, sie schwärmt, sie trauert und sucht, und sie kann alle ihre Empfindungen in ausgesucht schöne Worte kleiden. Ich bin sehr lange sehr verzaubert. Von den dreizehn ihrer Seelen war mindestens eine mit meiner verwandt, so schien es mir damals.

 

Dabei ist sie viel wagemutiger als ich. Meine Briefe an mein damaliges Idol aus dem Radio habe ich natürlich nie abgeschickt.

 

Dafür schreibe ich jetzt in diesem Notizblock. So ein Notizblock ist ein feines Ding, er eignet sich besonders gut für Skizzen und Hingeworfenes, ich bilde mir gerne ein, dass dieses Format meinen Anspruch an mich selbst auf ein erträgliches Maß herunterschraubt. Dazu noch im Namen einer Fremden. Mit Wagemut hat das wahrlich nichts zu tun.

 

Immerhin heiße ich mit zweitem Namen Hedwig, und so gibt es neben der eingebildeten Seelenverwandtschaft auch noch eine Namensgleichheit, die die Identifikation mit Hedy ganz leicht macht.

 


Hedy Kempny/Arthur Schnitzler: Das Mädchen mit den dreizehn Seelen

406 Seiten, Rowohlt Verlag, 1984


Hedy ist also meine Tarnkappe, in ihrem Namen kann ich schreiben, schwärmen, mich über Gelesenes und Gehörtes auslassen, über Musik, Literatur, Filme, Serien und was mich sonst an kulturellen Errungenschaften umtreibt.

 

Dabei stelle ich fest, dass es sich bei meinen Lese- und sonstigen Eindrücken nicht im klassischen Sinn um Rezensionen handelt. Nichts von dem, was ich sage oder schreibe, hält der Begutachtung eingefleischter Literaturkritiker stand. Zum Glück soll es das auch nicht.

 

Vielmehr geht es um das, was Literatur mir vermag, nämlich sich zu spiegeln in den Aussagen anderer. Immer wieder taucht die Erkenntnis auf, dass alles, was ich denke oder fühle, irgendwo schon einmal gedacht oder gefühlt worden ist, in diesen Zeiten oder in längst vergangenen. Und anstatt darüber traurig zu sein, nicht wirklich originär sein zu können, freue ich mich über die Entdeckung von universellen Denkmustern und fühle mich weniger alleine.

 

Natürlich schaut mir Hedy die ganze Zeit über die Schulter, wiegt den Kopf hin und her, zieht eine Haarnadel aus ihrem makellos hochgesteckten Dutt, der ihren Schwanenhals so wirkungsvoll zur Geltung bringt, steckt sie an anderer Stelle wieder rein und meint: „Ja, man könnte das so sagen. So oder so ähnlich.“ Dabei lächelt sie wie jemand, der sich im Großen und Ganzen mit der ganzen Welt im Einklang befindet.


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